Mission im Neuland

Mission (im) #neuland

Meine Gedanken zur Reich-Gottes-Arbeit im Netz (zuerst veröffentlicht in Peter Hundertmark / Hubertus Schönemann (Hrsg.), Pastoral hinter dem Horizont. Eine ökumenische Denkwerkstatt, KAMP kompakt 6, Erfurt 2017, 177-181):

 

Mission (im) #neuland
Der unbekannte Kontinent

Eine erste Beobachtung:
„Das Internet ist für uns alle Neuland“ – so antwortete Bundeskanzlerin Angela Merkel im Juni 2013 bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Barack Obama auf eine Frage nach dem Überwachungsprogramm Prism. Im Netz sorgte Angela Merkels Satz für erhebliche Erheiterung. Der ZDF-Journalist Thomas Walde schrieb damals auf Twitter: „Wenn ich die ersten Kommentare auf Twitter richtig deute, hat Merkel mit dem #neuland gerade einen Klassiker geschaffen.“ Genau so war es: #neuland wurde ein Meme, wobei der Begriff „Meme“ für Internetinhalte steht, die in Form einer Bild-, Ton-, Text- oder Videodatei in sozialen Medien vielfach geteilt werden und sich „viral“, d.h. wie Viren mit großer Geschwindigkeit verbreiten.
#neuland. Mit diesem Meme teste ich bei Vorträgen oder Gesprächsrunden gerne, wie vertraut oder wie wichtig meinen Zuhörern1 oder Gesprächspartnern die heutige Netzkultur ist. Oft ernte ich Schmunzeln oder wissendes Augenverdrehen, aber ebenso oft ist dieser kleine Witz, der es in alle großen Printmedien und die Tagesschau schaffte, immer noch zu „nerdig“, zu speziell, und ich blicke in ratlose Gesichter.
Und dennoch: In den letzten Jahrzehnten hat sich auch für uns ein neuer und hoch dynamischer Kontinent eröffnet: das „Netz“. Es reicht von statischen Webseiten über soziale Netzwerke bis hin zu Messengern, von augmented reality-Anwendungen, algorithmenbasierten Inhalten und big data-Analysen hin zu beginnender künstlicher Intelligenz, ohne dass man davon ausgehen dürfte, das Ende der Entwicklung wäre schon erreicht.

Eine zweite Beobachtung:
Im selben Jahr 2013, am Gründonnerstag, hatte Papst Franziskus bei einer Messe im Petersdom die Priester der katholischen Kirche aufgerufen, sich vertieft mit dem Alltag der Gläubigen vertraut zu machen. Die Aufforderung lautete, Geistliche müssten sich als Hirten mitten unter die Herde mischen und den „Geruch der Schafe“ annehmen. Andernfalls drohten sie zu „traurigen Priestern“ zu werden, die den Kontakt zu den Menschen verloren hätten. Ich meine, diese Aufforderung gilt auch den Nicht-Geistlichen, wenn ihnen die Weitergabe des Evangeliums ein Anliegen ist, und sie gilt ebenso im Blick auf den „Geruch des #neulands“, das für einen wachsenden Teil der Menschen in unserer Gesellschaft untrennbar zu ihrem Alltag gehört.

Missionarische Entdeckerfreude

Am Ende des 15. Jahrhunderts, an der Wende vom Mittelalter zu Neuzeit, war die Eroberung von neuen Kontinenten angesagt. Die Entdeckung unbekannter Welten – und neuer Wege dahin – löste einen ungeahnten Missionseifer aus: Nord- und Südamerika, Indien, China und Japan wurden Ziele – in ökonomischer und in religiöser Hinsicht. Während Staaten primär an Territorium und (Boden-)schätzen interessiert waren, ging es der Kirche – und hier vor allem den Orden – um die Verbreitung der Frohen Botschaft. Früher sagte man: Es ging um die Rettung von Seelen.
Als von der jesuitischen Spiritualität Infizierte weiß ich, dass es bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts für viele Jesuiten das große Ziel war, in die Mission geschickt zu werden. Ja, es waren sogar zu viele, die zu den fernen Kontinenten wollten, man musste sie bremsen, und manch missionarische Karriere ist damals wohl gestoppt worden.
Mit der Wende zum 21. Jahrhundert steht eine ähnlich große neue Welt für Entdeckungen offen: der Kontinent „Netz“. Zu diesem #neuland aber, so will es mir scheinen, verhält sich im Moment die Kirche in unseren Breiten oft genau umgekehrt: Dieses #neuland wird skeptisch bis misstrauisch beäugt, und im Zweifel entscheiden sich Einzelne, Pfarreien, Bistümer und Orden eher für das „brauchen wir nicht“ oder „damit wollen wir nichts zu tun haben“. Wobei vielleicht die stille Hoffnung mitschwingt, dieses unkontrollierbare und unberechenbare #neuland würde irgendwann wieder verschwinden. Ich bin überzeugt: das wird nicht passieren. Mein Wunsch wäre: Entdeckerfreude und – ganz altmodisch – Seeleneifer mögen uns bewegen, diesen Kontinent als Glaubende und Verkündende zu erforschen und zu besiedeln. Ohne Berührungsängste.

Haltungen im #neuland?

Mir stellt sich daher die Frage: was braucht es, um im #neuland in guter Weise missionarisch wirken zu können? Ich denke, wir brauchen dafür einen Perspektivwechsel. Mission, die die Autonomie des Einzelnen zu achten wünscht, geht davon aus, dass Gott längst im #neuland und den Menschen, die es gestalten, da ist. Sie sieht die Einzelnen als Partner in der gemeinsamen Gottessuche; nicht als bloße Empfänger, sondern als Mitwirkende.2
Ich sehe vier Haltungen, die die Weitergabe der Frohen Botschaft im #neuland beflügeln können.
Auf Facebook landete vor nicht allzu langer Zeit eine kleine Geschichte vor meinen Augen, deren Verfasser bzw. Urheber ich nicht kenne:

In einer brasilianischen Gemeinde von Fischern stellte jemand die Frage: „Warum suchte Jesus einen Fischer wie Petrus aus, um ihm die Leitung der Kirche anzuvertrauen?“
Die Antwort: „Wer sich zu Land bewegt, baut eine Straße und asphaltiert sie. Dann wird er immer wieder diesen Weg benutzen. Ein Fischer aber sucht die Fische dort, wo sie sind. Deshalb sucht er jeden Tag einen neuen Weg. Ihm kommt es darauf an, die Fische ausfindig zu machen. Es kann ja sein, dass der Weg von gestern nicht zu den Fischen von heute führt.“

Der ungewohnteste Aspekt – und auch die steilste Herausforderung – dieser Wasser-Wege im #neuland ist wohl, dass Kommunikation nicht mehr nach dem Prinzip der Einbahnstraße, also von oben nach unten, funktioniert. Bislang kamen Menschen – vor allem, aber natürlich nicht ausschließlich, bei Kirche – meist als Empfänger von Kommunikation vor, nicht als Sender und Produzenten. Dies hat sich mit dem #neuland grundlegend gewandelt. Jede und jeder kann Produzent werden, vom simplen Like unter einem Beitrag über den eigenen Blog bis hin zum selbstproduzierten Video.
Die erste hilfreiche, ja notwendige Haltung wäre in meinen Augen also die Rückkanalfähigkeit. Darunter verstehe ich die Kompetenz, unmittelbar Rückmeldungen wahrzunehmen, positive wie negative, von ihnen zu lernen und sie in die eigene Reaktion erkennbar aufzunehmen. Dabei gilt es, den Verlust von Kontrolle zu akzeptieren, vielleicht sogar genießen können. Weiß ich denn, ob der andere nicht vielleicht eine viel bessere Idee hat, auf die ich selbst nie käme?

Eine zweite Haltung könnte die mit Mut gepaarte Neugier, ja sogar die Risikobereitschaft sein. Wir haben dafür ein neutestamentliches Vorbild: Paulus. Er widmete erst einmal drei Jahre seiner Mission, seinem „Neuland“ bei den Heiden, bevor er sich bei Petrus in Jerusalem rückversicherte (Gal 1,15-18). Ohne Experimentierfreude, Neugier und „einfach mal machen“ wird es meiner Meinung nach schwer, im #neuland Fuß zu fassen und sich zu inkulturieren.

Eine dritte hilfreiche Haltung wäre Flexibilität, denn das #neuland verändert sich ständig. Ich reise gut auf diesem neuen Kontinent, wenn ich mit leichtem Gepäck unterwegs bin und erst einmal den „Ewigkeitsaspekt“ verabschiede. Nur weil ein Projekt nicht gleich „für alle Ewigkeit“ konzipiert wird, ist es deswegen nicht schlecht oder weniger wert.
Hierhin gehört auch das wache Gespür dafür, dass sich Kommunikation im Netz in weiten Teilen von der sprachlichen auf die visuelle Information, von den Wörtern auf die Bilder verlagert hat. Information kommt verpackt in Geschichten, Beziehung kommt verpackt in Geschichten – und das führt in direkter Linie zu dem, der uns den Auftrag gab, die Frohe Botschaft zu verkünden bis an die Enden der Erde (und des Netzes): zu Jesus Christus und seiner Weise, Beziehung zu stiften und das Reich Gottes zu „bebildern“.

Die vierte und letzte Haltung würde ich mit dem Begriff Umsicht umschreiben. Bei jeder Expedition ins Unbekannte werde ich dafür sorgen, dass Mut nicht in Waghalsigkeit umschlägt. Im Blick auf das #neuland heißt dies, dass ich mir über mögliche ethische Hintergründe meines Engagements klarwerde (und dazu gehören dann Grundkenntnisse sowohl juristischer wie technologischer Art). Dazu gehört auch, dass ich für meine Angebote Qualitätssicherung betreibe und die Fremdperspektive als Korrektiv zulasse.

Ich bin überzeugt, Mission (im) #neuland braucht Glaubende, die sowohl von der Botschaft Jesu als auch von dem „Vehikel Kirche“ als dem Ort der Verankerung in glaubwürdiger Weise durchdrungen sind. Es braucht zudem eine unbändige, experimentierfreudige Lust, die Botschaft von der Erlösung den Menschen in diesem #neuland weiterzugeben. In der Sprache und den Bildern dieses Kontinents! Inkulturation „at its best“ sozusagen.
Mission (im) #neuland ist dann nicht mehr der Sauerteig, der unter einen Bottich Mehl gemischt wird, sondern eine Video-Botschaft, die bei YouTube viral geht.

Und weiter?

Das #neuland bewegt uns (hoffentlich!) und bleibt bewegend. Möglicherweise ist die Druckerschwärze oder das PDF, das meine Gedanken transportiert hat, bereits veraltet. Immer wieder kann man etwas Neues finden. Meine aktuellen Fundstücke zum #neuland finden Sie auf dieser Webseite.
Und für Ihre eigenen Gehversuche im #neuland: Courage – die Frohe Botschaft will genau dort verkündet werden!

 

 

 

1 Mir ist bewusst, dass inklusive Sprache wünschenswert ist, der Lesbarkeit halber habe ich mich dennoch für das generische Maskulinum entschieden.
2 Siehe hierzu die kurze und prägnante Zusammenstellung auf http://weltkirche.katholisch.de/Themen/Mission/Heute-Mission-verstehen